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Argument Kalaschnikow

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Von SUSANN WITT-STAHL, 4. März 2014 -

Der Maidan als Wellness-Oase für internationale Ultrarechte, Söldner und Desperados -

Der politische Umsturz in der Ukraine weckt bei vielen prowestlichen Rechten, radikalen Nationalisten und Faschisten nicht nur Begehrlichkeiten. Er zeitigt große Visionen von einem neuen hochmodernen ultranationalistischen Staat, in dem es keine Russen und keine Linken mehr gibt und der von jeglicher ernstzunehmenden kritischen Opposition gesäubert ist.

Diese Hoffnung ist keineswegs unberechtigt. Sie hat sogar realpolitische Substanz. Denn am 22. Februar wurde mit der Absetzung von Präsident Viktor Janukowitsch, der Entmachtung seiner Partei der Regionen, dem Ausschalten des Polizei- und Militärapparates die – wie auch immer kritisch zu bewertende – staatlich garantierte Innere Sicherheit im Westen der Ukraine praktisch aufgehoben. Damit ist ein großer rechtsfreier Raum entstanden, der sofort von tausenden mehr und minder radikalen Rechten okkupiert wurde. Objektiv ist eine Wellness-Oase für militante Nationalisten entstanden – sogar nahezu paradiesische Konditionen für eine faschistische „Revolution“.

„Bastarde erschießen“

Wer im Zentrum von Kiew eine Autofahrt unternimmt, wird spätestens nach fünf Minuten mit den drastisch veränderten Machtverhältnissen konfrontiert. An allen strategisch wichtigen Orten und Verkehrsknotenpunkten der Stadt wurden Checkpoints eingerichtet. Dort bauen sich Männer mit über ihre Gesichter gezogenen Motorradhauben in Combat-Tarnkleidung, schweren Stiefeln, Baseball-Schlägern, Eisenstangen oder anderen Schlagwerkzeugen in der Hand vor den Fahrzeugen auf.

Sie kontrollieren die Ausweise „verdächtiger Personen“ und lassen gar nicht erst den leisesten Zweifel an dem zumindest vorläufigen Faktum aufkommen, dass sie die neuen Herren sind. Außer wenn es um banale Ordnungswidrigkeiten geht (beispielsweise einen betrunkenen Obdachlosen bis zur Ausnüchterung zu arretieren), tauchen weit und breit keine Polizeibeamten mehr auf. Sie haben nichts mehr zu sagen. Umso mehr zu sagen haben dafür Maidan-Milizen, die sich aus nationalistischen Ultras, von neoliberalen Ideologemen beseelten Pro-Europa-Kämpfern, aber auch lupenreinen Faschisten zusammensetzen.

Einer von ihnen ist Aleksandr Muzychko, der zu den Anführern des Pravy Sektor
(Rechter Sektor) gehört und von rechtsstaatlicher Ordnung gar nichts hält: „Ich warne Euch, wenn jemand in dieser Stadt und Region für Gesetzlosigkeit und Plünderungen sorgt, werden Abteilungen des Rechten Sektors diese Bastarde auf der Stelle erschießen. Dann wird wieder Ordnung und Disziplin einkehren“, hatte Muzychko allen Kriminellen angedroht.

Muzychkos Organisation ist ein autonomer Zusammenschluss nationalchauvinistischer und faschistischer Gruppierungen. Dazu zählt Tryzub (Dreizack), der die bereits 1929 gegründete Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) – deren Chef, Dmytro Yarosh, wurde auch zum obersten Anführer des Rechten Sektors ernannt – und viele kleine rechte Splittergruppen angehören. Mit dabei auch die ursprünglich aus der rechtspopulistischen Partei Swoboda hervorgegangenen Patrioten der Ukraine. Auch die 1990 in Lwiw gegründete Partei Ukrainische Nationalversammlung (UNA) und ihr paramilitärischer Arm Ukrainische Nationale Selbstverteidigung (UNSO) und der militante Belyj Molot (Weißer Hammer), der Kommandoaktionen gegen politische Feinde und illegale Geschäfte, Spielhallen oder Bordelle durchführt (und nicht zuletzt dafür von Teilen der Bevölkerung als „Robin Hood“ verehrt wird) sind im Rechten Sektor organisiert.   

Nicht nur reden – handeln

Vor dem Rekrutierungsbüro des Rechten Sektors an der Khreshchatykstraße bilden sich täglich lange Schlangen. Die Zahl der Aktivisten wurde bislang auf zwischen 3.000 und 4.000 geschätzt. Derzeit dürften weit über hundert Freiwillige pro Tag dazukommen. „Ich bin hier, um unser Volk zu beschützen“, sagt ein junger Mann namens Nazar – eine Aussage, die wieder und wieder aus den Reihen der Nachwuchskrieger zu hören ist. Die Frage, ob er dafür auch eine Waffe in die Hand nehmen und sein Leben riskieren würde, wenn es zum Bürgerkrieg kommt, ist noch nicht ganz ausgesprochen, schon nickt der 22-jährige urkrainisch-stämmige US-Amerikaner heftig und antwortet: „Ich würde sterben für mein Land.“ Damit meint er selbstverständlich die Ukraine.

„Keine Frage“, ergänzt sein sechs Jahre älterer Freund Sasha, der neben ihm steht, „wir können doch nicht ruhig zuschauen, wie unsere Leute hier auf der Straße sterben.“ Der Rechte Sektor habe im Gegensatz zu den etablierten Oppositionsparteien nicht nur geredet, sondern gehandelt. „Sie haben Verantwortung übernommen. Ich habe großen Respekt vor diesen Typen, deshalb bin ich hier“, nennt Sasha als Hauptgrund, warum er und sein Freund sich für die Ultrarechten entschieden haben. Am glücklichen Ende ihres Kampfes soll eine ganz neue Führung kommen, wünschen sich Nazar und Sasha, die „wirklich etwas für die Menschen und das Land tut – so wie die Regierungen der EU-Länder“. Die jungen Männer repräsentieren eine Masse Jugendlicher und junger Männer, die noch keine Kampfausbildung und -erfahrung haben, teils aus Idealismus, teils aus purer Abenteuerlust zum Maidan gepilgert sind.      

Die Komplementärgruppe zu dieser Heerschar ideologisch leicht beeinflussbarer und vor Begeisterung und Opferbereitschaft glühender Youngster bilden – meist feuererprobte – Ex-Soldaten und Söldner, die nicht selten älter als 50 Jahre sind. Darunter findet sich eine große Zahl von Afghanistan-Veteranen der ehemaligen Roten Armee, die wertvolle Dienste als Ausbilder leisten.

Auch ehemalige Angehörige der Légion étrangère, der französischen Fremdenlegion, sind dabei: Sergei, der ursprünglich aus der Region Kiew stammt, hat sich bis zum Beginn der Proteste auf dem Maidan im November auf der Krim aufgehalten. Er zeigt Fotos von seiner Militärzeit in Marseille, die er immer bei sich trägt. Er war fünf Jahre lang im ehemaligen Jugoslawien, in Somalia und Madagaskar im Einsatz. „Als Profi-Kämpfer – soll ich in einem Büro arbeiten?“, lautet Sergeis rhetorische Frage, die er sogleich selbst beantwortet: „Nein, natürlich nicht. Stattdessen bin ich hierher gekommen.“ Bei den Straßenschlachten in den vergangenen Wochen konnte er noch nicht in den ersten Reihen agieren. Gehindert hätten ihn, wie Sergei gesteht, „zwei Jahre auf Bewährung“, für eine Straftat, die er nicht nennt. „Aber seit gestern ist das vorbei, und heute melde ich sofort beim Rechten Sektor.“  

Ein junger Mann, der sich „George“ nennt, der längst dazu gehört und schon diverse Scharmützel mit Janukowitschs Polizei überstanden hat, erzählt, dass aus allen Teilen des Landes militante Rechte auf den Maidan gekommen sind. Aber nicht nur das: „Es sind auch viele Odin-Kämpfer hier“, verweist „George“ auf eine internationale neonazistische Bewegung, die vor allem in den USA, Großbritannien und Spanien aktiv ist.

Swobodas „Blauhelme“

Es gibt auch gemäßigte bewaffnete Kräfte: Maidan-Krieger Aaron*, der nicht dem Rechten Sektor angehört und seine Befehle von Swoboda bekommt, hält seine wahre Identität vollständig geheim und ist unter dem Decknamen „Delta“ aktiv. Der Ukrainer, der seit den 1990er-Jahren in Israel gelebt hat und vor ein paar Jahren zurückgekehrt ist, führt eine etwa 40-köpfige, in Teilen jüdische Kampfgruppe an – eine von 17 Einheiten zur „Verteidigung“ der Protestcamps der Opposition. Seine militärische Ausbildung hat der orthodoxe Jude beim Shu’alei Shimshon Erkundungsbataillon der Givati-Infanteriebrigade der Israel Defense Forces (IDF) erhalten, wie er der Jewish Telegraphic Agency  (JTA)verraten hat.

Auf Handy-Anrufe mit der Bitte um ein Interview reagiert er mit knappen Worten: „Ich kann gerade nicht. Ich bin mitten in einer wichtigen Operation“, sagte Aaron Hintergrund. Über die Details seines Einsatzes schweigt sich aus. Er könne sehr bald beendet sein oder auch noch Stunden dauern, ist das einzige, was über seine gegenwärtige militärische Mission zu erfahren ist.

Nicht alle Einsätze seiner „Blauhelme“, wie Aaron seine Einheit nennt (die von weiteren fünf Ex-IDF-Soldaten geführt wird), dienen ausschließlich der Bekämpfung und Verfolgung von Feinden der neuen Machthaber. Im Januar hätte sie einen wütenden Lynchmob davon abgehalten, ein Gebäude abzufackeln, das von Janukowitschs Polizisten besetzt war, berichtet Aaron JTA. „Es befanden sich Dutzende von Beamten darin, umzingelt von 1.200 Demonstranten, die die Polizisten lebendig verbrennen wollten. Da haben wir eingegriffen und für sie freien Abzug ausgehandelt.”

Linke hoffnungslos unterlegen

Dass die von Aarons „Blauhelmen“ verhinderte Barbarei der einzige Versuch war und bleibt, im größeren Ausmaß grausame Rache an Repräsentanten des alten Systems und anderen politischen Gegnern zu üben, ist zu bezweifeln – so gut wie ausgeschlossen. In diversen Städten der Westukraine gab es Brandanschläge auf Büros der Kommunistischen Partei. Es wurden Morddrohungen ausgesprochen. Bereits im Dezember waren Mitglieder der marxistischen Partei Borotba auf dem Maidan von Faschisten zusammengeschlagen worden.

Eine effektive Gegenwehr dürfte kaum möglich sein. Nicht nur befinden sich die Linken in hoffnungsloser Unterzahl – viele der Kämpfer des Rechten Sektors und anderer militanter Gruppen sind in Besitz professioneller militärischer Ausrüstung.
„Wir haben erstklassige kugelsichere Westen und andere Schutzkleidung, wie sie sonst nur die Armee hat“, erklärt uns ein vermummter Kombattant, der einen Revolver trägt und sich als „Psevdo-Ariets“ („Pseudo-Arier“) vorstellt. Außerdem hätten er und seine Kameraden eine intensive militärische Ausbildung genossen.  Deshalb habe der Rechte Sektor während der Schlachten auf dem Maidan, wo seine Mitglieder stets an vorderster Front kämpfen – und dafür als Helden verehrt werden –, in den vergangenen Wochen keine Toten und keine nennenswert Verletzten zu beklagen. Ein weiteres überzeugendes Argument für die Besatzer des Maidan, sich in Sicherheit zu wiegen und als Sieger zu fühlen: In einigen Gebäuden rund um den Platz sitzen Krieger mit Kalaschnikows.

Dass sie ihre Waffen freiwillig wieder abgeben – das dürfte kaum zu erwarten sein: „Wer will mir mein Maschinengewehr abnehmen? Wer will es mir wegnehmen? Wer will mir meine Messer wegnehmen?“, fragte der Rechter-Sektor-Führer Muzychko vergangenen Dienstag triumphierend in eine Runde deprimiert dreinschauender Parlamentsabgeordneter von Janukowitschs Partei der Regionen in Rovno. Das verängstigte Schweigen der Gefragten gab die unmissverständliche Antwort: Niemand.

* Name von der Redaktion geändert

Traduction

aa
 

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